Sonntag, 30. Dezember 2012

... zum Jahresabschluss ... eine Leseprobe!


Bärbel Kiy 

Das Wasserschlösschen zur
lockeren Schraube


Immer wieder Samstag
bzw.
Mal wieder zwanzig sein


Das Wochenende wurde schon zum Wochenanfang sehnlichst ersehnt, denn das Wochenende
enthielt für viele Patienten das absolute Highlight: die angrenzende Disco mit dem Ausschank des sonst verpönten Alkohols.
Wer in den Räumen der Klinik oder des Reha-Zentrums mit Alkohol oder im Bett eines anderen Geschlechtes, ja, wahrscheinlich auch im Bett desselben Geschlechtes, erwischt wurde, musste sofort seine Koffer packen und durfte die Heimreise antreten.
Dies hörte sich für den einen oder anderen Patienten bestimmt verlockend an, hatte aber einen erheblichen Nachteil. Die Kosten für den Kuraufenthalt musste der Betreffende oder die Betreffende oder auch möglich: mussten die Betreffenden dann in voller Höhe selbst tragen. Dies wäre im Fall des „unfreiwilligen Verabschiedens“ ein sehr kostspieliges Unterfangen gewesen.
Bärbel hatte gehört, dass sich im Laufe der Aufenthaltszeit je nach Aufenthaltsdauer durchschnittlich zwölf bis vierzehntausend Euro ansammelten, dies war wahrlich viel Geld dafür, dass man seine Triebe, das Lechzen in seinen Lenden, nicht steuern konnte.
In der angrenzenden Disco konnte sich das Alpha-Weibchen das C-Männchen schön trinken. Da sagte man dann ja zur Erotik, da erblühten die Götzinnen der Wollust, da gab es nicht wenige Anblicke, an denen das Auge äsen konnte.
Die lüsternen Gespielinnen lächelten gewinnend, als wären sie das große Los in einer Lotterie. Da freute sich bei einigen Männchen die Hypophyse, da musste sich der Hypothalamus ganz schön bewegen und arbeitete auf dem Niveau eines Hochleistungssportlers, um die sich anstauenden Hormonbildungen in die entsprechenden Abteilungen zu steuern.
Die eben genannten Weibchen hatten vorher gefühlte Tage in ihrem Badezimmer verbracht und sich so „angehübscht“, dass sie den Eindruck erweckten, dass sie, so aufgebrezelt wie sie nun waren, gleich zu der Bambi- oder Oskar-Verleihung aufbrechen wollten.
Hier fanden sich dann die Tanzwütigen auf der Tanzfläche und die Trinkfesten an der Theke wieder.
Wobei der Radius der Tanzfläche nur circa zehn bis zwölf Quadratmeter groß sein mochte. Da wurde es schon schön kuschelig und es knisterte nicht wenige Male schon beim ersten Tanz!
Die C-Männchen hatten das stundenlange Badezimmerprogramm natürlich nicht nötig. Auch die im freien Leben angewandten Duftstoffe der großen Designer wurden nicht oder nur spärlich benutzt.
Die Anwesenden und gerade genannten Männer waren offensichtlich der Meinung, dass das eigene ausströmende Pheromon, Testosteron-Derivat AND, das im Schweiß des Mannes vorhanden ist, Duftstoff genug sei, dass es genügte, ihr Aphrodisiakum zu verstreuen, und sie hatten Recht. Ihre Rechnung ging wirklich auf. Ganz offensichtlich vernebelten die Männchen, die auf fremden Designerduft verzichteten, den Weibchen mit ihrem körpereigenem Duftstoff alle noch vorhandenen Sinne, und zu siebzig Prozent hatte diese von ihnen gewählte Taktik tatsächlich den gewünschten Effekt, es führte tatsächlich zu dem gewünschten Erfolg.
Wer hätte das gedacht … hier schalteten die weiblichen Hirne reihenweise ab. Die Östrogene schäumten über, das sexuelle Verlangen stieg ins Unermessliche. Die weiblichen Unterleiber schrien: Nehmt uns!
Es war lustig anzusehen, wie sich einige der Paarformationen nach der Einnahme von
hochprozentigen Flüssigkeiten zum „Honk“ machten. Diese wiesen nach dem Genuss des Alkohols erhebliche Defizite in den Bewegungs- und offensichtlich auch in den Denkapparaten auf.
Es war zu erkennen, dass das Gesicht des gewählten Partners nach dem Toilettengang nicht mehr auf dem Radar erschien, daher blieb nur noch, den Lockruf auszuröhren. Es stellte sich für Außenstehende nicht selten die Frage: „Was nutzt dir der Name, wenn dir das Gesicht dazu nicht mehr einfällt?“
Die ganze Aktion war für Ungeweihte und Nüchterne recht nett anzusehen und anzuhören.
Hier wurde von dem B- und C-Männchen wirklich alles Weibliche, manchmal auch Männliche, angebaggert, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Bei den anderen, die es schafften, kletterten sie hinterher. Die circa eineinhalb bis zwei Millionen Jahre zurückliegende Evolutionsgeschichte unserer Gattung hatte diese Männer offensichtlich stark geprägt.
Eine Millionen Spermien standen ihnen pro Tag zur Verfügung, den Frauen nur eine Eizelle im Monat, daher konnten die Männer viel ungehemmter mit ihrem Erbgut umgehen. Da war es offensichtlich auch egal, was man anpoppte.
Hauptsache Frau, manchmal auch Mann, also Hauptsache, es zappelte und war warm. Generell war hier zu merken, dass Treue sowieso altmodisch war, es war eine Reliquie aus alten Tagen. Der Mensch war eben nicht zur Monogamie geboren, wenn die Hoden der Männer juckten, gab es kein Halten mehr … Es setzte auch schon einmal bei dem einen oder anderen das visuelle Wahrnehmungsvermögen aus.
Aus den jeweils zwölf Bildern pro Sekunde, die wir sehen müssen, um die Wirklichkeit in Bildern „druckfrei“ wahrzunehmen, wurde unter dem starken Einfluss von diversen alkoholischen Getränken jedes dritte Bild herausgefiltert.
Gesprächsfetzen wollten sich nicht mehr selbsttätig zusammenfügen, da wohl die Tonspur komprimiert wurde. Der Genuss des Alkohols, der Verlust der visuellen Wahrnehmung wie auch der Verlust der eigenen Muttersprache erforderte konzentriertes Nachbearbeiten.
Die Schmonzetten waren allemal auf der Seite dieser Paare.
Formationen, die im wahren Leben undenkbar gewesen wären, fanden hier zusammen und verweilten für die Zeit des Aufenthalts, vielleicht.
Als Bärbel sich an einem Samstag hinreißen ließ, mit in die Disco zu gehen, wurde sie sofort taxiert und von einem C-Männchen mit folgendem Spruch übergossen: „Na, ganz schön viel los hier.“ „Ja“, sagte Bärbel, „dann geh doch, dann ist es schon leerer.“ Oder: „Uff, was ist es laut hier“, brüllte ein anderes offensichtlich notgeiles Männchen ihr ins Ohr. „Hm“, entgegnete sie ihm, „brüll mich nicht an und halte doch einfach den Mund. Dann wird es schon leiser.“
Sie setzte sich mit ihren Mädels an einen Tisch und bestellte sich ein Glas Wein, da kam auch schon der nächste B- oder C-Kandidat auf sie zugeschlendert, bei dem schlechten Licht konnte man dies nicht zweifelsfrei feststellen. Ganz lässig nahm er den Kontakt zu ihr auf und fragte sie: „Stört es dich, wenn ich rauche?“ „Nein, nein“, sagte Bärbel „nicht einmal, wenn du brennst“ ... Laterne, Laterne.
Es fanden die Kontaktaufnahmen, oder wenn man es so nennen will, die Verabredungen für diese Discoabende für die Nichtraucher meistens in den Fahrstühlen oder für die Kulturellen, die Intellektuellen, die Stuhlkreisredner, die auch gerne oxforddeutsch sprachen, in den Leseräumen oder bei Filmvorführungen oder auch auf den Entertainmentabenden statt.
Für die militanten Raucher, in den jeweiligen Raucherformationen oder auch in den hierfür vorgesehenen Raucher-Sammel-Stellen.
Eine Ausdrucksform der Verabredung, die Bärbel zukam, war: „Na, Bock heute Abend mit mir in die Disco zugehen? Ein bisschen tanzen, trinken, und das Ende können wir uns ja offen lassen?“, fragte der Kandidat völlig siegessicher …
Was für unglaubliche Aussichten, ging es ihr nach dieser bräsigen Anmache durch den Kopf. Selbst wenn ich tot wäre, würde ich mich nicht von dir anfassen lassen wollen. Eher würde ich Zuckerwatte mit Erdbeer-geschmack aus meinem Hintern pusten, als mit dir etwas anzufangen, dachte sie. Umso entgeisterter wurde sie dann von ihrem Gegenüber angesehen, als sie seine ach so „lieb gemeinte, großherzige Einladung“ mit folgenden liebreizenden Worten dankend ausschlug: „Nein, sorry, ich möchte nicht mit dir in die Disco gehen, auch werde ich mit Sicherheit alleine in meinem Bett schlafen.“ Er schien völlig vor den Kopf geschlagen, wie konnte sie seine Einladung ablehnen? Sie verneinen? Er war immerhin mildtätig und wollte einer alten Dame doch nur den einsamen Abend versüßen.
Wer oder was glaubte sie denn, dass sie sei?
Nach der Abweisung seiner Einladung wurde Bärbel für eine lange Zeit ihres Aufenthaltes mit einer vernichtenden Verachtung seinerseits bestraft. Dies sollte wohl als eine Art Erziehung gedacht sein, sollte sie gefügig für spätere Rendezvous machen, für eventuelle Stelldicheins. Wie konnte sie einem so „tollen Mann“ nicht zu Füßen liegen? Seine Einladung sogar ausschlagen?
Sie war befreit, dass sie vor seinen Sprüchen und seiner billigen Anmache für eine längere Zeit nicht mehr davonlaufen musste. Bärbel war extraordinarily lucky. Sie fühlte sich nach diesem Erlebnis in ihren bisherigen Vorurteilen bezüglich des Putenrennens während des Kur- beziehungsweise des Reha-Aufenthaltes zu einhundert Prozent bestätigt.
Wie gesagt: Achtzig Prozent der Testosteronbomben hatten mit der Vergabe und dem Verstreuen ihres körpereigenen Hormons tatsächlich Erfolg in dem Wasserschlösschen zur lockeren Schraube … unglaublich, aber wahr.
Hier im Schlösschen hatte man wirklich der geschmacklichen und mentalen Verwahrlosung Tür und Tor geöffnet 


Ich hoffe, meine kleine Leseprobe hat euch gefallen.

Eure Bärbel

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